Reform der Notfallversorgung in Krankenhäusern darf nicht zu Lasten der Menschen im ländlichen Raum gehen


Am Mittwoch, den 10. Juni 2020 hat die Beckerklinik öffentlich mitgeteilt, dass sie ab dem 1. Juli 2020 künftig nur noch einen eingeschränkten Notfalldienst an Werktagen zwischen 8 und 18 Uhr anbieten kann. Anlass für diese Entscheidung ist eine Regelung, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zu einem gestuften System von Notfallversorgungsstrukturen in Krankenhäusern entwickelt und am 19. April 2018 beschlossen hat. Für die Beckerklinik hat dies gravierende Auswirkungen – siehe Infokasten.

Es hätte eine Lösung gegeben
Ich wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern gefragt, ob ich als Bürgermeister nicht hätte verhindern können, dass durch diesen Beschluss die Notfallversorgung in Bad Krozingen und in der Region gefährdet ist? Die Herren Becker haben mich 2018 über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Änderungen der Notfallstrukturen informiert und mir in meiner Funktion als Vorsitzender des Benedikt Kreutz Rehabilitationsvereins (BKeV) den Vorschlag unterbreitet, die Notfallversorgung der Beckerklinik in das Universitäts-Herzzentrum Bad Krozingen zu integrieren. Mit diesem Kooperationsmodell wäre die Notfallversorgung in Bad Krozingen und in der Region gesichert gewesen!
 
Zu diesem Vorschlag wurden von meiner Seite umgehend Gespräche mit dem Leitenden Ärztlichen Direktor der Uniklinik, Herrn Professor Dr. Frederik Wenz, sowie dem Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Norbert Südkamp, und den Klinikinhabern und Ärzten Jörg und Frank Becker initiiert. Die Verhandlungen, an denen aufgrund von Verschwiegenheitserklärungen bezüglich wirtschaftlicher Aspekte weder die Stadt noch der BKeV beteiligt wurden, seien zu großer Zufriedenheit der involvierten Akteure verlaufen, hieß es. Dass sich der Aufsichtsrat des Uniklinikums trotz der positiven Vorarbeiten nun gegen diese Kooperationslösung ausgesprochen hat, verwundert und enttäuscht mich. Als Begründung für die Ablehnung wurden organisatorische und finanzielle Argumente angeführt.

Als zweiten Lösungsansatz verfolgten die Stadt Bad Krozingen und ich als Bürgermeister den Ausbau eines Integrierten Notfallzentrums (INZ). Das INZ hätte als zentrale Anlaufstelle dienen können, bei der Kliniken und ambulant tätige Ärzte Hand in Hand arbeiten und sich über die passende Behandlung abstimmen. Meine diesbezüglichen Gespräche mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Johannes Fechner, waren aufgrund der strikten Regelungen durch den G-BA zu meinem größten Bedauern nicht von Erfolg gekrönt. Gemäß der so genannten 30-Minuten-Regelung wird ein integriertes Notfallzentrum nicht zugelassen, wenn das nächste Notfallkrankenhaus innerhalb von 30 Minuten erreichbar ist.

Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Stadt und die Region?
Für die Stadt und die Region bedeutet dies, dass sich Notfallpatienten nun entweder nach Müllheim oder Freiburg wenden müssen, um dort im schlimmsten Falle mehrere Stunden auf eine Behandlung zu warten.
Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass das Konzept des G-BA nichts weiter ist als eine - auch politisch gewollte - Ausdünnung der Krankenhauslandschaft und damit eine Zerschlagung von bisher funktionierenden dezentralen Versorgungsfunktionen vor allem im ländlichen Raum. So wie unserer Beckerklinik wird es vielen Kliniken in ganz Deutschland gehen, da die Vorgaben so hoch sind, dass sie gerade von den kleineren Kliniken nicht mehr erfüllt werden können. Gerade in der Notfallversorgung schafft man dadurch für die Patienten schmerzliche Lücken, wo man - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie gewonnenen Erfahrungen - eigentlich ein tragfähiges Netz spannen sollte. Gerade in diesen schwierigen Zeiten hat die Beckerklinik mit ihrer Notfallversorgung einen wesentlichen Beitrag geleistet, das Uniklinikum entlastet und somit Versorgungskapazitäten für Covid19-Patienten geschaffen.

Eine vermeintlich kosteneinsparende und effizientere Strukturreform wird damit auf dem Rücken der Menschen im ländlichen Raum ausgetragen. Tatsache ist, dass niemandem mit dieser neuen Struktur geholfen ist. Im Gegenteil: Der Weg zum nächstliegenden Krankenhaus wird immer weiter, eine adäquate Gesundheitsversorgung ist immer beschwerlicher zu erreichen. Die Versorgungsstrukturen der großen Kliniken werden darüber hinaus an den Rand ihrer Belastungsgrenzen gebracht, da sie nun die Versorgung von zusätzlich mehreren tausend Notfällen pro Jahr übernehmen müssen. Ob dadurch eine bessere und schnellere Behandlung der Patienten gewährleistet werden kann, möchte ich bezweifeln.

Wir wollen nicht kampflos aufgeben!
Oberste Priorität hat es daher für mich - in enger Abstimmung und solidarischer Kooperation mit meinen Amtskollegen des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald – eine Resolution zu verfassen, in der wir uns gemeinsam gegenüber dem Land und dem Bund für eine verantwortungsvolle und an den Bedürfnissen unserer Bürgerinnen und Bürger ausgerichteten notfallmedizinischen Versorgung in unserem Landkreis positionieren wollen.
 


Hintergrund:
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 19. April 2018 seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern (§ 136c Absatz 4 SGB V) beschlossen. Dabei werden ausschließlich die Anforderungen an die Strukturen der stationären Notfallversorgung definiert.

Die neue Regelung sieht vor, dass ein Krankenhaus für die Zuordnung in die Basisnotfallversorgung (Stufe 1) mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie/Unfallchirurgie sowie Innere Medizin am Standort verfügen muss. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass die entsprechende Betreuung durch einen Facharzt – bei Bedarf auch durch einen Anästhesisten – innerhalb von maximal 30 Minuten am Patienten verfügbar ist. Für eine möglicherweise angezeigte Intensivbetreuung muss eine Intensivstation mit der Kapazität von mindestens sechs Betten vorhanden sein. Für Krankenhäuser, die diese Mindestanforderungen nicht erfüllen und sich damit nicht an der stationären Notfallversorgung beteiligen können, sieht der Gesetzgeber Abschläge vor.

Als kleines Krankenhaus erfüllt die Beckerklinik nicht die personellen, organisatorischen und technischen Mindestanforderungen, um zumindest an der Basisnotfallversorgung teilzunehmen und dafür auch entsprechende Zuschläge zu erhalten. Dies bedeutet für die Becker-Klinik, dass sie für jeden Patienten, den sie künftig im Sinne der Notfallversorgung aufnimmt, finanzielle Abschläge von 50 % in Kauf nehmen muss. Bisher hat die Becker-Klinik rund 6000 – 8000 Notfallpatienten pro Jahr versorgt. Ihr Einzugsgebiet reichte dabei von Buggingen bis ins Wiesental.

Video mit Bürgermeister Volker Kieber