Becker Klinik: Forderung nach Erhalt einer wohnortnahen, flächendeckenden Notfallversorgung


Die Ankündigung der Bad Krozinger Beckerklinik, die Notfallversorgung auf werktags von 8 bis 18 Uhr einzuschränken sowie die Stellungnahme von Bürgermeister Volker Kieber zu den Auswirkungen der Neustrukturierung der Notfallversorgung in unserer Region, stießen auf sehr große Resonanz in der Bevölkerung. 

Nicht nur  die Bad Krozinger, sondern auch viele Menschen in der Region und auch Bürgermeister im Landkreis drückten ihr Unverständnis gegenüber den hier getroffenen politischen Entscheidungen aus, verbunden mit dem Wunsch, ihrerseits die Forderungen nach Erhalt einer wohnortnahen, flächendeckenden 24/7-Notfallversorgung am Standort Bad Krozingen aber auch generell im Landkreis zu unterstützen.


Resolution

Stadt und Gemeinderat werden sich deshalb mit einer entsprechenden Resolution an das Bundesgesundheitsministerium sowie an das Landesministerium für Soziales und Integration wenden. Den Forderungen schließen sich auch andere Bürgermeister im Landkreis an. Ebenso haben die Not- und Hausärzte im Landkreis bereits angekündigt, die Forderungen ebenfalls zu unterstützen.

Bürgerinitiative und Unterschriftenaktion

Momentan ist die Gründung einer Bürgerinitiative in Planung. Für den Vorsitz konnte bereits der leitende Notarzt Dr. Armin Hartmann gewonnen werden.

Die Resolution wird begleitet von einer gemeinsamen Unterschriftenaktion von Gemeinderat und Stadt, die bis zum 20.7.2020 läuft. Dazu findet am kommenden Samstag, (27.6.) von 10 bis 13 Uhr auf dem Lammplatz in Bad Krozingen eine fraktionenübergreifende Veranstaltung des Gemeinderates statt.
 
Die Unterschriftenlisten liegen zudem im Rathaus, in der Mediathek, in den Ortsvorwaltungen sowie in den Rathäusern der Nachbargemeinden aus oder können hier heruntergeladen werden: 

Unterschriftenliste


Statement von Bürgermeister Volker Kieber

"Zwar sind die Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gesetzt,  doch wurden dabei mit der sogenannten Länderöffnungsklausel auch Verantwortlichkeiten an die jeweiligen Landesregierungen übertragen. Damit hat das Land durchaus Spielraum bei der Bewertung von regionalen Situationen und Gegebenheiten, kann diese neu bewerten und beispielsweise zu dem Schluss kommen, die Beckerklinik als Spezialversorger auszuweisen und diese damit dann budgetneutral oder zumindest über einen Landeszuschuss weiterhin an der Versorgung teilnehmen zu lassen. Diese Möglichkeit noch einmal zu prüfen, ist  auch unsere konkrete Forderung an die Landesregierung.

Darüber hinaus hoffen wir natürlich, dass die Diskussion, die der Anfang des Jahres vorgelegte Referentenentwurf von Bundesgesundheitsminister Spahn zum Thema Integratives Notfallzentrum ausgelöst hat, die gesamte Diskussion um die Neustrukturierung der Notfallversorgung noch einmal aufrollen wird und dadurch gegebenenfalls noch einmal nachjustiert wird. Denn eines ist klar, diese Situation, die wir hier in Bad Krozingen haben ist keinesfalls einzigartig, sondern bedeutet eine strukturelle Schwächung des ländlichen Raums in ganz Deutschland. Kleine Kliniken fallen aus der Notfallversorgung heraus, da sie die hohen Vorgaben nicht mehr erfüllen können, obwohl sie bisher auch in diesen Bereichen gute Arbeit zum Wohle der Patienten geleistet haben. Die damit einhergehende Zentralisierung auf große Klinikstandorte ist somit auch eine politisch gewollte Ausdünnung der Krankenhauslandschaft und damit eine Zerschlagung von bisher funktionierenden Versorgungsfunktionen im ländlichen Raum. Beispielhaft dafür wäre auch die Diskussion um den Helios-Klinikstandort in Breisach zu nennen.  
Auch die Notärzte und Rettungsdienste sehen bereits jetzt eine erhebliche Schieflage bei der Patientenversorgung vor  allem nachts und am Wochenende auf die Region zukommen, wenn nur noch die ohnehin an ihren Grenzen arbeitende Uniklinik angefahren werden kann.
In dem leitenden Notarzt im Landkreis, Dr. Armin Hartmann, ist es mir gestern deshalb auch gelungen, einen engagierten und kompetenten Mitstreiter für die Sache zu gewinnen.

Dabei wollen wir es aber nicht bewenden lassen, denn letztendlich geht es hier nicht nur um einen einzelnen Standort oder die Region. Sollte die Neustrukturierung der Notfallversorgung wie geplant durchgeführt werden, bedeutet dies für ganz Baden-Württemberg eine strukturelle Schwächung des ländlichen Raums in ganz wesentlichen Bereichen der Daseinsvorsorge. Das aber wiederum widerspricht dem in unserer Landesverfassung verankerten Grundsatz der Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land!

Deshalb überlegen wir sogar, die Resolution zu erweitern und unsere Forderungen auch standortunabhängig an das Land zu stellen und damit den Schulterschluss mit allen anderen davon betroffenen Standorten zu suchen. Nur um einmal ein Beispiel für die Auswirkungen der Reform aus unserer direkten Nachbarschaft, der Ortenau, zu nennen: Allein hier sollen fünf von neun Krankenhäusern geschlossen werden.

Diese Ausdünnung der Krankenhauslandschaft gilt es zu verhindern. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir durch die Corona-Pandemie gemacht haben wird deutlich, wie wichtig ein tragfähiges und dezentral ausgebautes Gesundheitssystem ist - Dafür lohnt es sich zu kämpfen!“


RESOLUTION zur Sicherung der Notfallversorgung im ländlichen Raum und Erhalt der Beckerklinik in Bad Krozingen als Notfallklinik

Neustrukturierung der Notfallversorgung in Krankenhäusern

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – hat am 19. April 2018 die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern (§ 136c Abs. 4 SGB V) beschlossen. Hierbei sind für jede Stufe der Notfallversorgung Mindestvorgaben – insbesondere zur Art und Anzahl von Fachabteilungen, Anzahl und Qualifikation des vorzu­haltenden Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen festgelegt worden.

Gemäß dieser ist vorgesehen, dass ein Krankenhaus für die Zuordnung in die Basis­notfallversorgung (Stufe 1) u.a. mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie/Unfallchirurgie sowie Innere Medizin am Standort verfügen muss. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass die entsprechende Betreuung durch einen Facharzt innerhalb von maximal 30 Minuten am Patienten verfügbar ist. Für eine möglicherweise indizierte intensivmedizinische Betreuung muss eine Intensivstation mit der Kapazität von mindestens sechs Betten vorhanden sein.
 
Krankenhäuser, die diese personellen, organisatorischen und technischen Anforderungen nicht erfüllen sind künftig von der Notfallversorgung ausgeschlossen.

Ein aktueller Gesetzesentwurf des Bundesgesundheitsministeriums vom 8.1.2020 sieht darüber hinaus vor, integrierte Notfallzentren (INZ) in ausgewählten Krankenhäusern einzurichten. Diese sollen künftig entscheiden, ob Patienten stationär in der Klinik oder ambulant versorgt werden und die erforderliche ambulante notdienstliche Versorgung leisten. Dabei wird in einem Krankenhaus nur dann ein INZ zugelassen, wenn das nächste Notfallkrankenhaus mehr als 30 Fahrminuten entfernt ist. Dies hat auch Auswirkungen auf den Rettungsdienst, der künftig nur noch Integrierte Notfallzentren oder für die Notfallversorgung zugelassene Krankenhäuser an­fahren darf!

Auswirkungen der Reform der Notfallversorgung für die Region am Beispiel der Becker­klinik in Bad Krozingen

Die Beckerklinik Bad Krozingen ist ein 30-Betten-Haus mit den Schwerpunkten Unfall- und orthopädische Chirurgie sowie eine zertifizierte Einrichtung zur endoprothetischen Versorgung gelenknaher Frakturen. Die Klinik wird in privater Trägerschaft von der Familie Becker bereits seit fast 70 Jahren betrieben. Die Beckerklinik ist die einzige Einrichtung zur Versorgung insbe­sondere von unfallchirurgischen Notfallpatienten in Bad Krozingen und versorgt aufgrund der zentralen Lage der Stadt Bad Krozingen innerhalb des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald ein Einzugsgebiet mit rund 100.000 Einwohnern. Bei der Patientenversorgung im Rahmen der Corona-Pandemie leistet die Beckerklinik einen maßgeblichen Beitrag, indem sie mit ihrer Not­fallversorgung die größeren Kliniken entlastet, deren Versorgungskapazitäten schwerpunkt­mäßig Covid19-Patienten gelten.

Die geplante Neustrukturierung der Notfallversorgung hat für die Beckerklinik zur Folge, dass sie nicht mehr an der Notfallversorgung teilnehmen darf, da sie nicht über eine internistische Abteilung und nicht über eine entsprechend ausgestattete Intensivstation verfügt. Künftig wird sie deshalb auch nicht mehr vom Rettungsdienst angefahren. Sollte die Klinik dennoch zumindest eine ambulante Notfallversorgung durchführen, wird – laut Gesetzentwurf – die Ver­gütung für die Notfallleistung um 50% gekürzt.

Nachdem der Versuch der Beckerklinik und der Stadt Bad Krozingen, eine uneingeschränkte Notfallversorgung in Kooperation mit der Universitätsklinik Freiburg am Standort Bad Krozingen aufrecht zu erhalten, gescheitert sind, hat sich die Beckerklinik trotz der gesetzlichen Ein­schränkungen entschieden, die ambulante Behandlung von Notfällen zumindest an Werktagen von 8.00 bis 18.00 Uhr zunächst noch aufrecht zu erhalten.

Trotz dieses Engagements der Beckerklinik bedeutet die Strukturreform, dass Notfallpatienten künftig nicht mehr nach Bad Krozingen gebracht werden oder selbst weitere Fahrtwege entweder nach Müllheim oder Freiburg in Kauf nehmen müssen, um dort unter Umständen mehrere Stunden auf eine Behandlung zu warten.

Auch die Notärzte in der Region sind sich einig, dass es im Landkreis und im Stadtgebiet Frei­burg zu einer erheblichen Schieflage kommen wird und die Patientenversorgung bedroht ist, wenn sich die kleineren Kliniken, wie in Breisach oder in Bad Krozingen aus der Notfallversor­gung verabschieden. Gerade nachts und am Wochenende kann in Freiburg bereit jetzt oftmals nur die Uniklinik aufnehmen, die damit schon längst an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen ist.

Struktur-Reform auf Kosten einer flächendeckenden Notfallversorgung

So wie der Beckerklinik wird es vielen Kliniken in ganz Deutschland gehen, da die Vorgaben in der Notfallversorgung künftig so hoch sind, dass sie gerade von den kleineren Kliniken nicht mehr erfüllt werden können. Gerade in der Notfallversorgung schafft man dadurch für die Patienten schmerzliche Lücken, wo – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie gewonnenen Erfahrungen – eigentlich ein tragfähiges Netz gespannt werden müsste. 

Die Neustrukturierung und die damit verbundene Zentralisierung von medizinischen Leistungen, ist deshalb eine – auch politisch gewollte – Ausdünnung der Krankenhauslandschaft und damit eine Zerschlagung von bisher funktionierenden dezentralen Versorgungsfunktionen im ländlichen Raum. Hier wird anhand von wirtschaftlichen Faktoren über die medizinische Ver­sorgung der Menschen entschieden, wo eigentlich der Bedarf einer guten wohnortnahen Ver­sorgung der Menschen im ländlichen Raum im Vordergrund stehen sollte.

Tatsache ist, dass niemandem mit dieser neuen Struktur geholfen ist. Im Gegenteil: Der Weg zum nächstliegenden Krankenhaus wird immer weiter und damit auch gefährlicher, eine adä­quate Gesundheitsversorgung ist immer beschwerlicher zu erreichen. Dies gerade auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Ärztemangels im ländlichen Raum. Die Versorgungsstruk­turen der großen Kliniken werden darüber hinaus an den Rand ihrer Belastungsgrenzen ge­bracht, da sie nun die Versorgung von zusätzlich mehreren tausend Notfällen pro Jahr über­nehmen müssen. Ob dadurch eine bessere und schnellere Behandlung der Patienten gewähr­leistet werden kann, ist zu bezweifeln.

Forderung nach Erhalt einer wohnortnahen, flächendeckenden Notfallver­sorgung!


Die Unterzeichner setzen sich für den Erhalt und den Ausbau der medizinischen Notfallversorgung im ländlichen Raum ein:
Wir fordern das Land Baden-Württemberg auf, die Beckerklinik im Rahmen der Möglich­keiten, die die Länderöffnungsklausel bietet, als Spezialversorger auszuweisen und diese budgetneutral weiterhin an der Notfallversorgung teilnehmen zu lassen, um auch künftig eine 24-Stunden Notfallversorgung am Standort zu gewährleisten.

Die Unterzeichner fordern die Bundesregierung und die Landesregierung auf, den Bedarf an einer flächendeckenden, wohnortnahen Notfallversorgung im ländlichen Raum über die Wirtschaftlichkeitsaspekte zu stellen und den Krankenhäusern unserer Raumschaft entsprechende Beachtung, Wertschätzung und finanzielle Entlastung entgegen­zubringen. Wir bitten dringlich darum, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie in die politischen Überlegungen und Verhandlungen bisheriger und künftiger gesetzlicher oder regulatorischer Strukturen einfließen zu lassen und umzusetzen. Die Corona-Pandemie hat uns die Bedeutsamkeit eines gut ausgebauten und gut vernetzten Versorgungssystems vor Augen geführt.

Einsparungsvorgaben und Profit-Maximierungs­überlegungen dürfen nicht über dem Wohle der Patienten stehen.


Unterzeichner:

  • Der Bürgermeister der Stadt Bad Krozingen, Volker Kieber
  • Der Gemeinderat der Stadt Bad Krozingen;
  • Die Ortsvorsteher der Teilorte Biengen, Hausen, Tunsel, Schlatt

Die Resolution wird unterstützt von den Bürgermeistern im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald: *

  • Jörg Kindel, Au/Wittnau
  • Dieter Schneckenburger, Bötzingen
  • Josef Schweizer, Bollschweil
  • Oliver Rein, Breisach
  • Johannes Ackermann, Buggingen
  • Rainer Mosbach, Ebringen
  • Thomas Breig, Ehrenkirchen
  • Michael Bruder, Eichstetten
  • Karlheinz Rontke, Eisenbach
  • Karl-Josef Herbstritt, Glottertal
  • Christoph Zachow, Heitersheim
  • Klaus-Michael Tatsch, Hinterzarten
  • Dr. Benjamin Bröcker, Horben
  • Benedikt Eckerle, Ihringen
  • Andreas Graf, Lenzkirch
  • Dr. Christian Ante, Merzhausen
  • Rüdiger Ahlers, Münstertal
  • Manfred Kreutz, St. Märgen
  • Michael Benitz, Staufen
  • Dirk Blens, Sulzburg
  • Walter Laub, Umkirch
  • Benjamin Bohn, Vogtsburg

*Stand: 25.06.2020 – Weitere Unterschriften werden erwartet
 

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Pressemitteilung vom 17.6.2020Reform der Notfallversorgung in Krankenhäusern darf nicht zu Lasten der Menschen im ländlichen Raum gehen




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